Freitag, 19. Mai 2017

Aktivisten demonstrieren, Journalisten fabulieren.

Zugegeben, über die Akteure, um die es hier geht, weiß ich nichts. Das gilt für die Demonstranten der Identitären Bewegung ebenso wie für die Journalisten, die über sie berichten. Und trotzdem schreibe ich darüber. Was ist geschehen?

Etwa 50 Anhänger der Identitären Bewegung demonstrierten heute vor dem Bundesministerium der Justiz in Berlin gegen das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das Justizminister Maas im Schnellverfahren durch den Bundestag bringen will. Kurz gefasst geht es in dem Gesetz darum, Netzwerken wie Facebook oder Twitter Bußgelder anzudrohen, wenn sie rechtswidrige Kommentare ihrer Benutzer nicht schnell löschen. Was rechtswidrig ist, würden Beschäftigte bei Facebook und Twitter entscheiden, nicht etwa Gerichte.

Es gibt Gründe zuhauf gegen das geplante Gesetz zu protestieren oder zu demonstrieren. Anhänger der Identitären Bewegung haben dies heute getan. Sie bedienten sich dabei einer Protestform, die man von Öko-Aktivisten, Grünen und Linken seit Jahren kennt: spektakuläre Aktionen, die Nachrichtenstoff für die Medien hergeben. Und genau so ist es gekommen. Hier Schlagzeilen von heute, geordnet nach gedachten Eskalationsstufen:

Illegale Aktion der Identitäre Bewegung vor Justizministerium (Deutschlandfunk)
"Identitäre Bewegung" marschiert vor Justizministerium auf (Rundfunk Berlin-Brandenburg)
Identitäre vor Justizministerium gestoppt (B.Z.Berlin)
Identitäre Bewegung - Rechtsextreme wollen in Justizministerium eindringen (ZDF)
Identitäre wollen Ministerium stürmen (Tagesschau)
Identitäre versuchen Sturm auf Justizministerium (Süddeutsche Zeitung)
Livestream: Identitäre stürmen Justizministerium (MMnews)
Dramatische Szenen, als 50 Identitäre das Ministerium stürmen wollen (Die Welt)
50 "Identitäre" scheitern mit Besetzung des Justizministeriums (Tagesspiegel)

Nimmt man die Essenz aus den verschiedenen Artikeln, ergibt sich folgendes Bild: Etwa 50 Personen hatten sich nach Angaben der Polizei zu einer unangemeldeten Demonstration vor dem Justizministerium eingefunden. Sie hatten eine Leiter und Transparente bei sich. Ein Eindringen in das Ministerium hatte die Polizei verhindert. Niemand wurde verletzt, alle Teilnehmer erhielten Platzverweis. Einige müssen mit Strafanzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte rechnen.

Von einem Marsch auf das Justizministerium konnte ebenso wenig die Rede sein wie von einem Sturm auf das selbige. Die Dramatik in den Artikeln ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die Demonstranten nicht zu den Guten gehören. Das heißt, es waren keine Aktivisten, die man dem links-grünen Spektrum zurechnen könnte. Es waren Rechte. Diese haben zwar eine Haltung, aber nicht die allenthalben gewünschte. Die Toleranzschwelle der Journalisten lag somit bei nahe Null. In der Folge erblickten Übertreibungen das Licht der Welt, die ein falsches Bild der Vorkommnisse lieferten.

Die Pointe der Geschichte: Das was Maas mit seinem NetzDG unter anderem bekämpfen will, praktizieren Journalisten ungeniert an den Gegnern des geplanten Gesetzes: Falschmeldungen oder wie es neudeutsch gerne heißt, Fake News.


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